Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 2025 umfassend zu den Befugnissen der Strafverfolgungsbehörden für den Einsatz des sogenannten „Staatstrojaners“ Stellung genommen. Im Mittelpunkt standen die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und zur Online-Durchsuchung.
Die Entscheidung ist ein Teilerfolg für Datenschützer: Während der Einsatz der Quellen-TKÜ bei schweren Straftaten grundsätzlich für verfassungsgemäß erklärt wurde, dürfen Ermittlungsbehörden künftig nicht mehr auf den Trojaner zurückgreifen, wenn es nur um Taten mit einer Höchststrafe von drei Jahren oder weniger geht. Außerdem muss der Gesetzgeber die Vorschriften zur Online-Durchsuchung nachbessern, weil sie das sogenannte Zitiergebot verletzen.
Was steckt hinter „Quellen-TKÜ“ und „Staatstrojaner“?
Bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) werden Telefonate, E-Mails oder Chatnachrichten während der Übertragung abgefangen. Das funktioniert jedoch nicht, wenn moderne Messenger wie WhatsApp, Signal oder Telegram Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einsetzen und die Daten damit nur auf den jeweiligen Geräten verfügbar sind.
Die Quellen-TKÜ umgeht dieses Problem: Mit spezieller Software – dem umgangssprachlich „Staatstrojaner“ genannten Programm – wird direkt auf das Endgerät zugegriffen. Die Kommunikation wird erfasst, bevor sie verschlüsselt oder nachdem sie entschlüsselt wurde. So lassen sich auch verschlüsselte Nachrichten auslesen.
Die Online-Durchsuchung geht noch weiter: Hierbei darf die gesamte Festplatte bzw. das gesamte Gerät mit allen gespeicherten Daten, durchsucht werden – nicht nur laufende Kommunikation. Das umfasst Fotos, Dokumente, Standortdaten und vieles mehr.
Die bisherigen StPO-Regelungen
Seit einer Reform im Jahr 2017 (§§ 100a ff. StPO) dürfen Ermittlungsbehörden die Quellen-TKÜ oder Online-Durchsuchung nur anordnen, wenn
- der Verdacht einer schweren oder besonders schweren Straftat vorliegt, die im Gesetz ausdrücklich genannt ist (Straftatenkatalog) und im Einzelfall schwer wiegt,
- die Aufklärung der Tat auf anderem Wege wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre,
- und ein Richter die Maßnahme anordnet.
Zum Straftatenkatalog zählen neben Mord und Totschlag auch Delikte wie Geldfälschung, Geldwäsche oder bestimmte Computerstraftaten. Bislang umfasste der Katalog aber auch Straftaten mit relativ niedriger Höchststrafe.
Das hat das BVerfG entschieden
Das BVerfG hat die Regelungen nun teilweise verworfen:
- Einsatz nur bei schweren Delikten
Die Quellen-TKÜ ist nicht verhältnismäßig, wenn sie auch bei Straftaten eingesetzt werden kann, die mit einer Höchststrafe von drei Jahren oder weniger bedroht sind. Der Straftatenkatalog in § 100a Abs. 1 S. 2 StPO muss deshalb angepasst werden. - Zitiergebot bei Online-Durchsuchung verletzt
Die Befugnis zur Online-Durchsuchung greift nicht nur in das IT-System-Grundrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern auch in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) ein. Das hätte der Gesetzgeber ausdrücklich zitieren müssen (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG). Weil das fehlt, ist die Vorschrift in diesem Punkt mit dem Grundgesetz unvereinbar; die Vorschrift bleibt aber bis zu einer Neuregelung in Kraft. - Hohe Eingriffsschwelle bestätigt
Der Einsatz von Staatstrojanern ist ein besonders schwerer Grundrechtseingriff. Das Gericht betont: Er ist nur zulässig, wenn die Tat schwer wiegt, andere Ermittlungswege praktisch nicht erfolgversprechend sind und die Maßnahme richterlich angeordnet wird.
Warum diese Einschränkungen?
Das BVerfG hat den Schutz der Privatsphäre in den Vordergrund gestellt. Smartphones sind heute weit mehr als Telefone – sie enthalten persönliche Fotos, intime Chats, Gesundheitsdaten, Bewegungsprofile und vieles mehr. Ein Zugriff mit dem Staatstrojaner kann daher einen tiefen Einblick in die Lebensgestaltung einer Person geben.
Solche Eingriffe sind nur zu rechtfertigen, wenn es um den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder die Sicherheit des Staates geht. Bagatell- oder mittlere Kriminalität reichen nicht aus.
(Noch) wenig Nutzung in der Praxis
Die Statistik des Bundesamtes für Justiz zeigt: In der Praxis werden diese Maßnahmen selten genutzt.
- Quellen-TKÜ: 2023 bundesweit 104 richterliche Anordnungen, davon 62 tatsächlich umgesetzt.
- Online-Durchsuchung: 26 Anordnungen, nur 6 durchgeführt.
Hauptanwendungsbereich sind Verfahren wegen Bildung krimineller Vereinigungen und organisierter Kriminalität.
Fazit und Ausblick
Die Gefahr, bei weniger gravierenden Delikten Ziel einer Quellen-TKÜ zu werden, ist künftig gebannt. Für Strafverteidiger*innen bleibt jedoch wichtig, im Ermittlungsverfahren genau zu prüfen, ob die strengen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Der Gesetzgeber muss nun den Straftatenkatalog in der StPO überarbeiten und das Zitiergebot bei der Online-Durchsuchung beachten. Bis dahin bleiben die Befugnisse nutzbar – aber nur unter engen Bedingungen.
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