Super Recognizer – neue Superzeugen im Strafprozess?

Welche Rolle Gesichts-Erkenner vor Gericht spielen – und was der BGH dazu sagt

Die Berliner Polizei setzt bei der Verbrechensbekämpfung seit einigen Jahren auf sogenannte Super Recognizer – Menschen mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen.

Nach einer Pilotphase gründete die Polizei Berlin im Juni 2025 nun eine eigene Einheit, in der die Gesichtserkenner pro Monat im Durchschnitt 85 Fälle bearbeiten (Quelle: Tagesspiegel)

Doch was bedeutet das für den Strafprozess? Ist die Aussage eines Super Recognizers vor Gericht mehr wert als die anderer Zeugen? Und dürfen Gerichte allein auf solche Wiedererkennungen ein Urteil stützen?

Der Bundesgerichtshof hat sich in einem Beschluss aus 2024 (Az. 5 StR 21/24) mit genau diesen Fragen befasst – und dabei wichtige Leitlinien zur Bewertung solcher Aussagen formuliert.

Was ist ein Super Recognizer überhaupt?

Super Recognizer verfügen über eine extrem ausgeprägte Fähigkeit, Gesichter selbst nach langer Zeit oder bei schwierigen Bedingungen zuverlässig wiederzuerkennen. Diese Gabe ist wissenschaftlich messbar, aber bislang nicht vollständig erklärbar. In verschiedenen Studien schneiden solche Personen in standardisierten Tests deutlich besser ab als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Die Berliner Polizei setzt entsprechend geeignete Beamte gezielt für die Auswertung von Videoüberwachung oder in Ermittlungsverfahren ein. Die Hoffnung: Straftäter schneller identifizieren – auch ohne klassisches Beweismaterial wie Fingerabdrücke oder DNA.

Welche Beamtinnen und Beamten sich für diese Aufgabe eignen, wird mithilfe eines empirischen Testverfahrens ermittelt, das von der Bern University of Applied Sciences entwickelt wurde.

Was sagt der BGH zur Aussagekraft?

In seinem Beschluss vom 24. April 2024 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals deutlich Stellung zum Beweiswert solcher Wiedererkennungsleistungen bezogen. Die zentrale Aussage:

Solange die Fähigkeiten eines Super Recognizers wissenschaftlich nicht abschließend gesichert sind, gelten für ihre Aussagen keine anderen Maßstäbe als für die Aussagen anderer Zeugen.

Mit anderen Worten: Auch ein Super Recognizer kann sich irren – und seine Aussage allein reicht nicht für eine Verurteilung aus, wenn sie nicht durch weitere Beweismittel gestützt wird.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Berlin den Angeklagten u. a. wegen schweren Raubes verurteilt. Eine Beamtin, die sich selbst als „wissenschaftlich getestete Super Recognizerin“ beschrieb, hatte ihn anhand von Überwachungsvideos wiedererkannt. Doch das Gericht stützte sich nicht allein auf diese Aussage, sondern zog weitere Beweise heran wie Videoanalysen, DNA-Spuren und Zeugenaussagen.

Der BGH befürwortete das Vorgehen des Landgerichts und machte deutlich: Nur weil jemand sich als „Super Recognizer“ bezeichnen lässt, ergibt sich daraus kein automatischer Sonderstatus vor Gericht. Ein höherer Beweiswert wäre nur dann zulässig, wenn gutachterlich belegt und nachvollziehbar im Urteil begründet.

Anforderungen an das Wiedererkennen durch Super Recognizer

Der BGH hat den Fall darüber hinaus zum Anlass genommen, sich zu den Anforderungen an die Ausgestaltung der Analyse durch einen Super Recognizer zu äußern: Auch bei der Auswertung von Bildmaterial durch die entsprechend befähigten Beamten sind die Grundsätze zu Gegenüberstellung und Wahllichtbildvorlage nach § 18 RiStBV anzuwenden, also auch Bilder oder Aufnahmen von unverdächtigen Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung vorzulegen.

Der Bundesgerichtshof meint dazu, dass sich nicht erschließe, warum die Gefahr, der durch diese Regelung begegnet wird, nämlich dass der Zeuge sich fälschlicherweise auf einen Tatverdächtigen festlegt, wenn ihm nicht auch unverdächtige Personen präsentiert werden, bei Super Recognizern nicht bestehen soll.

Was bedeutet das für die Praxis?

Vor Gericht müssen Aussagen von Super Recognizern– wie jede andere Zeugenaussage auch – kritisch geprüft werden.

Allein auf ein Wiedererkennen durch einen Super Recognizer darf ein Urteil nicht gestützt werden, es sei denn, ein Gericht kann dessen besondere Fähigkeit wissenschaftlich belegen und nachvollziehbar begründen, warum dieser Aussage besonderes Gewicht zukommt.

Ob das empirische Testverfahren der Bern University of Applied Sciences geeignet ist, den Beweiswert von Aussagen der Super Recognizer gegenüber anderen Zeugenaussagen zu steigern, wird die Rechtsprechung zeigen.

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