Verschlüsselte Messenger-Dienste sind seit dem Hack der Plattform Encro-Chat durch die französischen Strafverfolgungsbehörden immer wieder in den Medien. Dabei beschäftigt die Gerichte die Frage, ob die Chats als Beweise in Strafverfahren verwendet werden können.
Eine neue Entscheidung des Landgerichts Memmingen (Az. 1 Kls 401 Js 10121/22, abrufbar hier) hat nun eine besondere Konstellation zum Gegenstand: Die Chats im Verfahren stammen aus dem Krypto-Messenger „ANOM“, der vom US-amerikanischen FBI entwickelt und inkognito an kriminelle Organisationen vermarktet wurde.
Hintergrund: Verwertbarkeit von Krypto-Messengern
Schlagzeilen machten vor einiger Zeit insbesondere die Daten des Krypto-Dienstes „Encro-Chat“. Dessen Server wurde von französischen Ermittlern infiltriert. Große Mengen an Daten wurden auch an deutsche Sicherheitsbehörden weitergegeben.
Die Auswertung dieser Daten hat zu zahlreichen Strafverfahren insbesondere wegen Drogen- und Waffengeschäften in Deutschland geführt und beschäftigt die Landgerichte bundesweit bis heute.
Der Bundesgerichtshof hat im März 2022 (Beschl. v. 02.03.2022, Az. 5 StR 457/21, abrufbar hier) entschieden, dass die Daten nach deutschem Recht als Beweise im Strafverfahren verwendet werden können. Ein Beweisverwertungsverbot wegen unrechtmäßig erlangter Daten bestehe nicht.
Die französischen Behörden hätten die Daten rechtmäßig nach den dortigen Verfahrensvorschriften erhoben. Innerhalb der Europäischen Union gelte der Grundsatz, dass gerichtliche Entscheidungen der Mitgliedsstatten gegenseitig anzuerkennen seien. Aufgrund der dortigen Gerichtsbeschlüsse sei ein rechtmäßiges Handeln zu unterstellen.
Das letzte Wort in Sachen Encro-Chat ist dabei noch nicht gefallen, aktuell ist ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.
ANOM: Datenerhebung in nicht genanntem „Drittland“
Die Konstellation des Messengers „ANOM“ liegt dabei anders:
Nachdem das Datenleck bei Encro-Chat bekannt geworden war, entwickelte das FBI einen eigenen Krypto-Messenger, um damit die ehemaligen Nutzer von Enro-Chat zu erreichen und Erkenntnisse über Straftaten zu gewinnen. Die vermeintlich verschlüsselten Chats waren dabei keineswegs anonym, sondern konnten von den Strafverfolgern mitgelesen werden.
Die Nutzer stammten überwiegend nicht aus den USA. Das FBI richtete zur Abwicklung des Chatverkehrs einen Server in einem nicht benannten „Drittland“ ein, von wo aus die gewonnenen Daten an das FBI übergeben wurden. Das FBI wiederum stellte die Nachrichten auf ein Rechtshilfeersuchen hin der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zur Verfügung und erlaubte die Verwendung der Daten in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Es machte jedoch keine Zusicherungen hinsichtlich weiterer Unterstützung wie Zeugenaussagen oder Dokumentenauthentifizierung. Die Identität des „Drittlands“ blieb unbekannt, und es lagen keine entsprechenden Gerichtsbeschlüsse aus dem „Drittland“ vor.
LG Memmingen: Unverwertbarkeit der Erkenntnisse
Das Landgericht Memmingen hatte nun einen Fall zu entscheiden, in dem die Anklage wegen Betäubungsmittelhandels einzig auf den in dieser Weise gewonnenen Daten beruhte. Weitere Beweise standen nicht zur Verfügung.
Das Gericht stellte fest, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Verwertbarkeit von Chats aus Krypto-Messengern in diesem Fall keine Anwendung findet. Im Ergebnis kam es zu einem Beweisverwertungsverbot.
Im Allgemeinen sind im Ausland erhobene Beweise für ein deutsches Strafverfahren verwertbar, es sei denn, sie wurden unter Verletzung völkerrechtlicher Garantien oder allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsätze gewonnen. Ob dies der Fall sei, könnte in der vorliegenden Konstellation anders als bei Encro-Chat nicht überprüft werden. Denn das FBI habe keine Informationen über das „Drittland“ preisgebene, in dem die Daten gesammelt wurden.
Das Gericht betonte, dass die Beweislast für eine rechtmäßige Datenerhebung bei der Staatsanwaltschaft liegt. Da keine gerichtlichen Beschlüsse und Informationen zur Datenerhebung im „Drittland“ vorlagen, um die Rechtmäßigkeit zu überprüfen, müsse von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden.
Zudem merkte das Gericht an, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei dem ungenannten „Drittland“ möglicherweise Deutschland handele. In diesem Fall wäre die Gewinnung der Daten mit den deutschen Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung nicht vereinbar. Eine bewusste Umgehung der deutschen Vorschriften sei daher nicht auszuschließen.
Schließlich betonte das Gericht, dass die pauschalisierte Überwachung aller „ANOM“-Nutzer aufgrund eines Generalverdachts nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar ist.
Fazit und Ausblick
Da keine weiteren verwertbaren Beweismittel zur Verfügung standen, wurde der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen vom Landgericht Memmingen freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, sodass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten bleibt.