Änderungen im Wiederaufnahmerecht der Strafprozessordnung
Dank neuer Methoden in der Kriminaltechnik und dem flächendeckenden Einsatz von DNA-Analysen werden immer wieder öffentlichkeitswirksam so genannte „Cold Cases“ gelöst und Jahrzehnte zurückliegende Kriminalfälle aufgeklärt.
Schlagzeilen machte zuletzt die Verhaftung eines Tatverdächtigen im Mordfall Frederike von Möhlmann, der 1983 rechtskräftig freigesprochen wurde und nun durch DNA-Beweise erneut in den Fokus der Strafjustiz geriet.
In einigen Fällen führen die Ermittlungserfolge jedoch nicht zur Verurteilung der endlich identifizierten Täter, obwohl man ihnen die Tatbeteiligung nun nachweisen kann – Hintergrund ist zumeist, dass Verdächtige bereits angeklagt und rechtskräftig freigesprochen wurden. Mit dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen ist das nicht vereinbar.
Bislang fehlte in diesen Fällen jedoch die strafprozessuale Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens, neue technische Ermittlungsmöglichkeiten hatte der Gesetzgeber bislang nicht berücksichtigt.
Mit dem „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ vom 21. Dezember 2021 (BGBl. I S. 5252) ist am 30. Dezember 2021 eine Regelung in Kraft getreten, die eine Wiederaufnahme zu Ungunsten eines Freigesprochenen ermöglicht und die Verurteilung in „Cold Cases“ wahrscheinlicher macht.
Welche Grundsätze dabei gelten, wer eine Wiederaufnahme beantragen kann und ob die Regelung überhaupt Bestand haben wird, lesen Sie hier:
Bisherige Grundsätze
Die Strafprozessordnung unterscheidet bei der Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Strafverfahren danach, ob das Verfahren zu Gunsten oder zu Ungunsten wieder aufgenommen werden soll.
Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens ist an hohe Hürden geknüpft: Die Rechtskraft eines Urteils ist im Sinne des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen angreifbar, auch, um alle Beteiligten vor einer jahrelangen und immer wieder neuen Belastung durch ein Strafverfahren zu schützen.
Eine erneute Hauptverhandlung gegen eine rechtskräftig freigesprochene Person war nach der bisherigen Regelung nur möglich, wenn sich im Strafprozess verwendete Urkunden, Zeugenaussagen oder Gutachten als falsch herausgestellt, ein beteiligter Richter bei der Urteilsfindung seine Amtspflichten in strafbarer Weise verletzt oder die betreffende Person selbst doch noch ein Geständnis ablegt hat (§ 362 StPO a.F.).
Was ist neu?
Nach der Reform des Wiederaufnahmerechts am Ende der letzten Legislaturperiode findet sich nun der zusätzliche Wiederaufnahmegrund der neuen Tatsachen oder Beweismittel: Neue Ermittlungserkenntnisse, die allein oder gemeinsam mit bereits vorhandenen Beweisen eine Verurteilung wahrscheinlich machen, können in einem neuen Prozess Verwendung finden.
Die Rechtskraft eines freisprechenden Urteils darf dabei nur in besonders schwerwiegenden Fällen durchbrochen werden: Eine Wiederaufnahme bei neuen Beweisen ist nur zulässig, wenn eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB) Völkermordes (§ 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch), eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Völkerstrafgesetzbuch) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 Völkerstrafgesetzbuch) im Raum steht.
Wiederaufnahme mit dem Ziel, doch freigesprochen zu werden?
Nach wie vor unverändert gelten die Vorschriften zur Wiederaufnahme zu Gunsten einer verurteilten Person – eine Wiederaufnahme wegen neu aufgetauchter Beweismittel ist hier bereits seit langem möglich, § 359 Nr. 5 StPO.
Im Gegensatz zur Wiederaufnahme zu Ungunsten des Freigesprochen können Verurteilte ohne Beschränkung auf bestimmte Delikte eine Überprüfung des Urteils verlangen, wenn sich neue Erkenntnisse ergeben.
Wie läuft ein Wiederaufnahmeverfahren ab?
Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach rechtskräftiger Verurteilung muss beantragt werden; um doch noch eine Verurteilung zu erreichen, kann die Staatsanwaltschaft einen Antrag stellen. Kein Antragsrecht haben Geschädigte bzw. Angehörige einer getöteten Person, sodass eine Wiederaufnahme nur durch Einwirkung auf die Staatsanwaltschaft erreicht werden kann.
Der Antrag auf Wiederaufnahme mit dem Ziel, ein günstigeres Urteil zu erreichen, kann sowohl von Staatsanwaltschaft als auch von der verurteilten Person gestellt werden.
Die rechtlichen Hürden und die Anforderungen an die Formulierung eines solchen Antrags sind allerdings weiterhin hoch, sodass Sie sich hierzu anwaltlich beraten lassen sollten.
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Ausblick und aktuelle Entwicklung
Mittlerweile sind die neuen Regelungen in der Praxis angekommen, aber nicht unumstritten.
Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Neuregelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Art. 103 Abs. 3 GG schreibt fest, dass keine Person zwei Mal wegen desselben Sachverhalts verurteilt werden darf („ne bis in idem“) und Ausnahmen hiervon deshalb sehr streng gehandhabt werden müssen.
Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich den im Fall Frederike von Möhlmann Jahrzehnte nach seinem Freispruch verhafteten Ismet H. nach einem Eilantrag seiner Verteidiger wieder auf freien Fuß gesetzt. Eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Wiederaufnahme ist damit noch nicht verbunden, sie ergeht gesondert.
Die grundsätzliche Bedeutung des Falls wird allerdings bereits jetzt deutlich: Die Verfassungsrichter mahnen in ihrem Eilebschluss an, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, bevor das Wiedereinsetzungsverfahren fortgeführt wird – es bleibt also spannend.
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