Erkennungsdienstliche Maßnahmen – Was man dagegen tun kann – Bundesverfassungsgericht betont die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

Das Schreiben mit der Anordnung, man habe sich zur Abgabe seiner Finger- oder Handflächenabdrücke oder zur Anfertigung von Lichtbildern bei einer Polizeibehörde einzufinden, löst häufig Hilflosigkeit und nicht selten Wut bei den davon Betroffenen aus. Denn wenn ein Tatverdacht im Raum steht, droht oftmals schnell die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme nach § 81b StPO durch die Ermittlungsbehörden. Dazu gehören Lichtbilder ebenso wie Finger- und Handflächenabdrücke. Die Maßnahmen greifen weitreichend in die Rechte des Beschuldigten ein. Gut begründet sind derartige Anordnungen selten. Vielmehr wird in der Begründung oft nur floskelhaft auf die angebliche Notwendigkeit der Maßnahmen eingegangen.

Die Maßnahme sollten Betroffene nicht einfach hinnehmen.

Dass es sich lohnen kann, gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen vorzugehen, zeigt erneut ein kürzlich ergangener Beschluss des Zweitens Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2022 (2 BvR 54/22). Danach muss die Prüfung zur Rechtmäßigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahme das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angemessen berücksichtigen. Zur Notwendigkeit der Maßnahme muss die Behörde zudem konkrete Ausführungen machen. Fehlt es daran, ist die Anordnung rechtswidrig und die Betroffenen brauchen die Maßnahme nicht über sich ergehen zu lassen.

Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 81b StPO

Nach § 81b StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit

„es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder

für die Zwecke des Erkennungsdienstes

notwendig ist.“

§ 81b StPO

§ 81b StPO kennt insoweit zwei Alternativen: Maßnahmen zu repressiven Zwecken, also im Rahmen einer laufenden Strafverfolgung, und Maßnahmen, die präventiven Zwecken in der Zukunft dienen sollen. Unabhängig von der Zielrichtung der erkennungsdienstlichen Maßnahme muss diese im Hinblick auf den Zweck „notwendig“ sein. Die Begründung der repressiven Maßnahme muss entsprechend Ausführungen dazu enthalten, welchen Zweck die Maßnahme im laufenden Strafverfahren erfüllen soll. Im Fall eines präventiven Eingriffs ist darzulegen, warum und mit welcher Wahrscheinlichkeit zukünftig Straftaten durch den Beschuldigten zu erwarten sind und, inwieweit die erhobenen Daten sodann einer Verfolgung dienen könnten. Für die Begründung ist zwischen den verschiedenen Verwendungszwecken in Alt. 1 und 2 zu differenzieren und jeweils präzise zur angewendeten Rechtsgrundlage zu begründen. Maßnahmen der repressiven Strafverfolgung sind vor den Strafgerichten anzugreifen. Erkennungsdienstliche Anordnungen zu präventiven Zwecken vor den Verwaltungsgerichten.

In der Praxis bleiben die Ausführungen in den Anordnungen durchaus hinter diesen Anforderungen zurück. Der Beschuldigte lässt die Maßnahmen oftmals dennoch über sich ergehen, weil ihm der Umfang des Eingriffs nicht vollständig bewusst ist oder er seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht kennt.

Bundesverfassungsgericht betont Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Beschluss nunmehr die Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Maßnahmen betont.

Der zugrunde liegende Sachverhalt betraf den Vorwurf der Sachbeschädigung nach § 303 StPO durch ein Graffiti. Gegen den mutmaßlichen Täter wurden umfangreiche repressive und präventive Maßnahmen nach § 81b 1. Alt. und 2. Alt. StPO angeordnet. Die Anordnung umfasste u.a. die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks und eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes. Der Beschuldigte bestritt nicht grundsätzlich, die am Tatort festgestellte und durch Zeugen identifizierte Person zu sein.

Im Instanzenzug half das Landgericht Zwickau der gegen die repressiven Maßnahmen eingelegten Beschwerde nicht ab. Das Bundesverfassungsgericht hielt daran anschließende die Verfassungsbeschwerde für „offensichtlich begründet“.

Zum Prüfungsmaßstab führte das Gericht aus:

„Bei der Auslegung und Anwendung des § 81b Alt. 1 StPO sind die Gerichte gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen […] Dabei orientiert sich die Notwendigkeit der Maßnahme an der Sachaufklärungspflicht der Gerichte nach § 244 Abs. 2 StPO […] Gleichzeitig stellt das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar […] Dies bedeutet, dass die Gerichte zur konkreten Notwendigkeit jeder einzelnen angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme ausführen und eine Abwägung zwischen dem Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen müssen.“

Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2022 (2 BvR 54/22), Rn. 30

Diesen Anforderungen sei das Landgericht Zwickau nicht gerecht geworden. Die angeordnete Maßnahme sei für die Zwecke der Strafverfolgung schon nicht geeignet gewesen, soweit sie die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks betraf, weil entsprechende Spuren am Tatort nicht gesichert worden seien. Im Übrigen sei zur konkreten Notwendigkeit nicht ausgeführt worden. Ein „Austausch“ von Begründungen mit Blick auf die gegebenenfalls rechtmäßige Anordnung nach § 81b Alt. 2 StPO sei ausdrücklich nicht möglich.

Hinsichtlich der Anordnung, ein Fünfseiten- und Ganzkörperbild zu fertigen, hätte im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und dem Interesse des Beschwerdeführers erfolgen müssen. Dies sei nicht erkennbar.

Insoweit verletzte der Beschluss des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Folge: Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht einfach hinnehmen

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass es sich lohnt, die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen im Zweifel gerichtlich überprüfen zu lassen. Dabei gilt es zunächst, Maßnahmen zu verhindern oder – soweit Daten bereits erfasst sind – diese löschen zu lassen.

Sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen müssen notwendig sein und sich am Maßstab des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung messen lassen. Die Begründung der Anordnung muss eine solche Notwendigkeit erkennen lassen.

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