Korruptionsbekämpfung auf europäisch – Die Europäische Staatsanwaltschaft beginnt ihre Arbeit

Seit dem 1. Juni 2021 gibt es einen neuen internationalen Akteur im Bereich des Korruptions- und Steuerstrafrechts – die Europäische Staatsanwaltschaft beginnt ihre Arbeit.

Was bedeutet das für die Praxis? Wird es eine europaweit agierende Staatsanwaltschaft geben, die den nationalen Behörden Konkurrenz macht?

Rechtliche Grundlagen, Arbeit und Ziele der Behörde

Rechtliche Grundlage der neuen europäischen Behörde sind auf europäischer Ebene der Artikel 86 des AEUV und die Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (kurz: EUStA). In Deutschland wurde die (direkt anwendbare) Verordnung mit dem Europäische-Staatsanwaltschaft-Gesetz vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) umgesetzt. § 142b GVG regelt die Zuständigkeit der Europäischen Delegierten.

Ausweislich ihrer Selbstbeschreibung (auf Deutsch abrufbar unter: https://ec.europa.eu/anti-fraud/policy/preventing-fraud/european_public_prosecutor_de) soll die europäische Behörde gegen sogenannte „grenzübergreifende Großkriminalität zulasten des EU-Haushalts“ vorgehen. Die Behörde versteht sich als unabhängig (Artikel 6 der Verordnung), ihre Arbeit wird in der Verfolgung von Geldwäschetaten, Betrugs-, Korruptions- und Steuerdelikten, insbesondere auch Umsatzsteuerkarussells, bestehen. Sachlich beschränkt sich die Zuständigkeit der EUStA festgelegte Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU von großem Ausmaß (Artikel 22 ff. der Verordnung). Geplant ist eine enge Zusammenarbeit mit OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung.

Die EUStA soll sowohl als zentrale Behörde auf EU-Ebene agieren, als auch dezentral Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen im jeweiligen EU-Land, also auch in Deutschland, vornehmen können (Artikel 8 der Verordnung). Bei den Einsätzen innerhalb der Nationalstaaten soll auf das jeweilige nationale Personal und die nationalen Rechtsverschriften zugegriffen werden.

Wird die EUStA aktiv, sollen nationale Ermittlungen zurücktreten, nach der Anklageerhebung sind aber die nationalen Gerichte zuständig. Der neue § 16 StPO sieht Regelungen zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichtes im Fall eine Anklageerhebung durch die EuStA vor. Nach § 16 Abs. 2 StPO ist eine Prüfung der Zuständigkeit auf Einwand des Angeklagten möglich.

Auswirkungen auf die Praxis

Nachdem die Aufnahme der Arbeit der EUStA sich immer wieder verzögert hatte, wird sie ab Juni 2021 ihre Ermittlungen aufnehmen. Aktuell könnte ihre Arbeit sich nach den Angaben des BMJV auf Straftaten im Zusammenhang mit dem Europäischen Corona-Hilfspaket fokussieren (abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2021/0528_Europaeische_Staatsanwaltschaft.html).

Es bleibt aber abzuwarten, was das für die tägliche Praxis der Strafverteidigung bedeuten wird. Der neuen Behörde wurde bereits vor Beginn ihrer Arbeit ein Mangel an personellen und finanziellen Ressourcen nachgesagt.

Theoretisch kann die Behörde seit Juni 2021 in den Mitgliedstaaten, also auch in Deutschland, ermitteln, verfolgen und anklagen (Artikel 86 Abs. 2 AEUV). Sind mehrere Mitgliedstaaten von einer Straftat betroffen und haben eine entsprechende Gerichtsbarkeit inne, soll sich die Strafverfolgung nach dem Schwerpunkt der Tat ausrichten. Schon aufgrund der beschränkten Ressourcen kann dies nur in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Behörden umgesetzt werden. Die Zusammenarbeit in der Praxis scheint zu großen Teilen ungeklärt. Das betrifft Detailfragen der Zuständigkeit und ganz konkrete praktische Aspekte, wie die Gewährung des Akteneinsichtsrechtes oder die Wahrnehmung der Sitzungsvertretung.

Beschuldigtenrechte in Gefahr

Wo immer neue Strafverfolgungsmechanismen in Kraft treten, besteht die Gefahr, dass die Rechte des Beschuldigten unzureichend Berücksichtigung finden. Das gilt umso mehr, als die strafprozessualen Rechte Beschuldigter europaweit keinesfalls auf einem einheitlichen Niveau sind. So entscheidet die Frage, wo der Schwerpunkt einer Straftat liegt eben nicht nur über die Zuständigkeit, sondern auch über die Anwendbarkeit elementarer Verfahrensrechte.

Auch im Umgang mit Ermittlungen der Europäischen Behörde sollten Sie frühzeitig rechtlichen Beistand suchen, um etwaigen Risiken frühzeitig entgegenzusteuern und Rechte, wie etwa die Möglichkeit des Einwandes nach § 16 StPO, effektiv wahrzunehmen. Wir beraten Sie hierzu gern in unseren Arbeitssprachen Deutsch, Englisch, Spanisch, Russisch und Französisch.